Notfallwarnung im Mobilfunknetz + Cell Broadcast (Teil 2)
[excuse this German-language post, this is targeted at the current German public discourse]
Ein paar Ergänzungen zu meinem blog-post gestern.
Ich benutzt den generischen Begriff PWS statt SMSCB, weil SMSCB strikt genommen nur im 2G-System existiert, und nur ein Layer ist, der dort für Notfallalarmierung verwendet wird.
Zu Notfallwarn-Apps
Natürlich sind spezielle, nationale Deutsche Katastrophenschutz-Apps auch nützlich! Aber diese sollten allenfalls zusätzlich angeboten werden, nachdem man erstmal die grundlegende Alarmierung konform der relevanten internationalen (und auch EU-)Standards via Cell Broadcast / PWS realisiert. Man sagt ja auch nicht: Nachrichtensendungen braucht man im Radio nicht mehr, weil man die bereits im Fernsehen hat. Man will auf allen verfügbaren Kanälen senden, und zunächst jene mit möglichst universeller Reichweite und klaren technischen Vorteilen benutzen, bevor man dann zusätzlich auch auf anderen Kanälen alarmiert.
Wie sieht PWS für mich als Anwender aus
Hier scheint es größere Missverständnisse zu geben, wie das auf dem Telefon letztlich aussieht. Ist ja auch verständlich, hierzulande sieht man das nie, ausser man ist zufällig in einem Labor/Basttel-Netz z.B. auf einer CCC-Veranstaltung unterwegs, in der das Osmocom-Projekt mal solche Nachrichten versendet hat.
Die PWS (ETWS, CMAS, WEA, KPAS, EU-ALERT, ...) nachrichten werden vom Telefon empfangen, und dann je nach Konfiguration und Priorität behandelt. Für die USA ist im WEA vorgeschrieben, dass Alarme einer bestimmten Prioritatsklasse (z.B. der Presidential Level Alert) immer zwangsweise zur Anzeige gebracht werden und immer mit einem lauten sirenenartigen Alarmton einhergehen. Es ist sogar explizit verboten, dass der Anwender diese Alarme irgendwo ausstellen, stumm schalten o.ä. kann. Insofern spielt es keine Rolle, ob das Telefon gerade Lautlos gestellt ist, oder es nicht gerade unmittelbar bei mir ist.
Bei manchen Geräten werden die Warnungen sogar mittels einer text2speech-Engine laut über den Lautsprecher vorgelesen, nachdem der Alarmton erscheint. Ob das eine regulatorische Anforderung eines der nationalen System ist, weiss ich nicht - ich habe es jedenfalls bereits in manchen Fällen gesehen, als ich mittels Osmocom-Software solche Alarme in privaten Labornetzen versandt habe.
Noch ein paar technische Details
PWS-Nachrichten werden auch dann noch ausgestrahlt, wenn die Zelle ihre Netzanbindung verloren hat. Wenn also z.B. das Glasfaserkabel zum Kernnetz bereits weg ist, aber noch Strom da ist, werden bereits vorher vom CBC (Cell Broadcast Centre) an die Mobilfunkzelle übermittelte Warnungen entsprechend ihrer Gültigkeitsdauer weiter autonom von der Zelle ausgesendet Das ist wieder ein inhärenter technischer Vorteil, der niemals mit einer App erreichbar ist, weil diese erfordert dass das komplette Mobilfunknetz mit allen internen Verbindungen und dem Kernnetz sowie die Internetverbindung vom Netzbetreiber zum Server des App-Anbieters durchgehend funktioniert.
PWS-Nachrichten können zumindest technisch auch von Telefonen empfangen werden, die garnicht im Netz eingebucht sind, oder die keine SIM eingelegt haben. Ob dies in den Standards gefordert wird, und/oder ob dies die jeweilige Telefonsoftware das so umsetzt, weiss ich nicht und müsste man prüfen. Technisch liegt es nahe, ähnlich wie das Absetzen von Notrufen, das ja auch technisch in diesen Fällen möglich ist.
Zu den Kosten
Wenn - wie in der idealen Welt - das Vorhalten von Notfallalarmierung eine Vorgabe bereits zum Zeitpunkt der Lizenzvergabe für Funkfrequenzen gewesen wäre, wäre das alles einfach ganz lautlos von Anfang an immer unterstützt gewesen. Keiner hätte extra Geld investieren müssen, weil diese minimale technische Vorgabe dann ja bereits Teil der Ausschreibungen der Betreiber für den Einkauf ihres Equipments gewesen wäre. Zudem hatten wir ja bereits in der Vergangenheit Cell Brodacast in allen drei Deutschen Netzen, d.h. die Technik war mal [aus ganz andern Gründen] vorhanden aber wurde irgendwann weggespart.
Das jetzt nachträglich einzuführen heisst natürlich, dass es niemand eingeplant hat, und dass jeder beteiligte am Markt sich das vergolden lassen will. Die Hersteller freuen sich in etwa wie "Oh, Ihr wollt jetzt mehr als ihr damals beim Einkauf spezifiziert habt? Schön, dann schreiben wir mal ein Angebot".
Technisch ist das alles ein Klacks. Die komplette Entwicklung aller Bestandteile für PWS in 2G/3G/4G/5G würde ich auf einen niedrigen einmaligen sechsstelligen Betrag schätzen. Und das ist die einmalige Investition in der Entwicklung, welche dann über alle Geräte/Länder/Netze umgebrochen wird. Bei den Milliarden, die in Entwicklung und Anschaffung von Mobilfunktechnik investiert wird, ist das ein Witz.
Die Geräte wie Basisstationen aller relevanten Hersteller unterstützen natürlich von Haus aus PWS. Die bauen für Deutschland ja nicht andere Geräte, als jene, die in UK, NL, RO, US, ... verbaut werden. Der Markt ist international, die gleiche Technik steht überall.
Weil man jetzt zu spät ist, wird das natürlich von allen Seiten ausgenutzt. Jeder Basisstationshersteller wird die Hand aufhalten und sagen, das kostet jetzt pro Zelle X EUR im Jahr zusätzliche Lizenzgebühren. Und die Anbieter der zentralen Komponente CBC werden auch branchenüblich die Hand aufhalten, mit satten jährlichen Lizenzgebühren. Und die Consultants werden auch alle die Hand aufhalten, weil es gibt wieder etwas zu Integrieren, zu testen, ... Das CBC ist keine komplexe Technik. Wenn man das einmalig als Open Source entwickeln lässt, und in allen Netzen einsetzt, bekommt man es quasi zum Nulltarif. Aber das würde ja Voraussetzen, dass man sich wirklich mit der Technik befasst, versteht um welch simple Software es hier geht, und dass man mal andere Wege in der Beschaffung geht, als nur mal eben bei seinen existierenden 3 Lieferanten anzurufen, die sich dann eine goldene Nase verdienen wollen.
In der öffentlichen Diskussion wird von 20-40 Millionen EUR gesprochen. Das sind überzogene Forderungen der Marktteilnehmer, nichts sonst. Aber selbst wenn man der Meinung ist, dass man lieber das Geld zum Fenster hinauswerfen will, statt Open Source Alternativen zu [ver]suchen, dann ist auch diese Größenordnung etwas, dass im Vergleich zu den sonstigen Anschaffungs- und Betriebskosten eines Mobilfunknetzes verschwindend gering ist. Ganz zu schweigen von den Folgekosten im Bereich Bergung/Rettung, Personenschäden, etc. die sich dadurch mittelfristig bei Katastrophen einsparen lassen.
Oder anders betrachtet: Wenn sogar das wirtschaftlich viel schwächere Rumänien sich sowas leisten kann, dann wird es wohl auch die Bundesrepublik Deutschland stemmen können.